Wenn Ellipsen in Risikokurven Leben retten: Neue optische Orientierungshilfe für Motorradlenkende im KFV-Praxis-Test

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Sicherheitsfördernde Fahrbahnmarkierung im Fokus der Forschung: Das KFV untersuchte die Wirkung innovativer Bodenleitelemente für Motorradlenkende in Tiroler Risikokurven und liefert den Erfolgsbeweis: Die weißen Ellipsen auf der Straße bewirkten eine sicherere Fahrlinienwahl und einen Rückgang der Motorradunfallzahlen um sensationelle 80 Prozent.

In korrekter Fahrlinie sicher die Kurve kratzen – so soll es sein. Ein absolutes Muss ist die richtige Kurvenfahrlinie für Motorradlenkende – Motorisierte ohne Knautschzone. Denn der Blick in die Unfallstatistik lässt wissen: Die meisten Motorradunfälle auf Österreichs Straßen ereignen sich in Kurven.

Ursache vieler Motorradunfälle ist eine falsch gewählte Kurvenfahrlinie der einspurig Motorisierten: Wenn der Oberkörper in Linkskurven zu weit nach links, also in die Gegenfahrbahn ragt, ist ein spontanes Ausweichen bei plötzlich auftauchendem Gegenverkehr oft nicht mehr unfallfrei möglich. Die Maschine wird, falls eine Kollision mit dem entgegenkommenden Fahrzeug überhaupt noch vermeidbar ist, aus der tieferen Schräglage nach oben gerissen, die Fahrt in engerem Kurvenradius fortgesetzt – ein heikles Fahrtechnik-Kunststück der Extraklasse, das nicht immer gelingt.

Tiroler KFV-Projekt für höhere Kurvensicherheit
Die vom KFV (Kuratorium für Verkehrssicherheit) analysierten Unfalldaten der Statistik Austria zeigen: Falsche Fahrlinienwahl führt viel zu oft direkt ins Verderben. „Rechtsseitiges Abkommen von der Fahrbahn in Linkskurve“ ist nach „Sturz vom Fahrzeug“ der zweithäufigste Motorradunfalltyp. Trauriger Beweis für misslungene Kurvenfahrmanöver – und für die Wichtigkeit der Wahl einer sicheren Fahrlinie, ganz besonders in engen, unübersichtlichen Kurven.

Um das hohe Unfallrisiko in diesen berüchtigten Gefahrenbereichen zu reduzieren, entwickelte das Forschungsteam des KFV in Zusammenarbeit mit dem Land Tirol, der regionalen Exekutive und den örtlichen Straßenmeistereien eine neue Art optisch leitender Bodenmarkierung, die in 19 kritischen Tiroler Freilandkurven, in denen andere Entschärfungsmaßnahmen bereits gescheitert waren, im Jahr 2019 zum Einsatz kam: weiße Folien in Ellipsenform, die – perlenkettenartig entlang der Mittellinie aneinandergereiht – für mehr Respektabstand zur Gegenfahrbahn sorgen sollen. Die Vorher-Nachher-Analyse liefert ein eindrucksvolles Erfolgsresultat: Der innovative optische Support brachte eine Reduktion des Motorradunfallgeschehens in den Testkurven um 80 %.

Die besondere Challenge der „Hundskurven“
Unübersichtliche Kurven sind gefährliches Terrain – sich im Radius verjüngende Kurven erst recht: In im Motorrad-Fachjargon „Hundskurven“ genannten enger werdenden Kurvenverläufen erwarten Einspurige besondere Herausforderungen in puncto Fahrkönnen. Die Wahl einer sicheren Fahrlinie ist hier für Motorradlenkende das Um und Auf. Im alpinen Bundesland Tirol liegen – topografisch bedingt – einige berüchtigte Hundskurven, unter anderem im Verlauf der Namloser Straße, der Silvrettastraße, der Brennerstraße, im Ötztal und im Kaunertal. Diese klassischen Hochrisikokurven wurden vom KFV-Forschungsteam in puncto Unfallgeschehen detailliert untersucht und auch vor Ort – in einem Reality Check, per Motorrad unterwegs – präzise ins Visier genommen. Als zeitnah umsetzbare Sicherheitsmaßnahme wurde die Installation optischer Bodenleitelemente auf Platz 1 der To-do-Liste des Projektteams gesetzt.

Die Psychologie der Bodenmarkierung
Motorradlenkende vermeiden grundsätzlich das Befahren von Bodenmarkierung, auch wenn diese, zumindest im Neuzustand, sogar bei Regen ausreichend griffig und rutschfest ist. Dieses in Fahrschulen zu Recht propagierte fahrtechnische Grundprinzip für Zweiradlenkende machte sich das interdisziplinär besetzte KFV-Team bei der Entwicklung der neuen Ellipsen-Folien zunutze.

Im Frühsommer 2019 wurden die ausgewählten 19 Risikokurven auf Tiroler Freilandstraßen mit der innovativen Bodenmarkierung versehen. Verwendet wurde Folienmaterial der Marke 3M Stamark 380 – für die Wahl dieses Materials sprachen unter anderem sein besonders hoher Reibbeiwert und die bereits unmittelbar nach Anbringung der Folien mögliche Befahrbarkeit.

Der Erfolg der Ellipsen
Im Jahr 2023 wurden alle in der Pilotstudie 2019 identifizierten Unfallstellen noch einmal unter die Lupe genommen – unter Berücksichtigung der pandemiebedingt verringerten Fahrleistungen in den Jahren 2020 und 2021.

Der jüngste Check liefert erfreuliches Feedback:

  • Die Kurvenfahrlinien der Einspurigen konnten dank der Ellipsen-Folien entlang des rechten Randes der Mittellinie erfolgreich beeinflusst werden: Die Motorradlenkenden vermieden mehrheitlich das Befahren der Ellipsen und wählten ihre Fahrlinien in sicherer Distanz zur Fahrbahnmitte.
  • In allen 19 Kurven wurden im Zeitraum Juli 2019 bis Ende 2021 nur mehr insgesamt vier Motorradunfälle mit Personenschaden verzeichnet. Der Rückgang des Motorradunfallgeschehens in den 19 Testkurven beträgt 80 % – ein klarer Beweis für den Sicherheitseffekt der Ellipsen.

Die Empfehlungen für mehr Sicherheit
Auf Basis der neuesten Erkenntnisse empfiehlt das KFV-Forschungsteam folgende Maßnahmen zur Entschärfung unfallträchtiger Kurven:

  • Lebensrettende Ellipsen: Die im Tiroler Praxis-Test erprobten Ellipsen-Markierungen zur optischen Orientierungshilfe und Beeinflussung der Fahrlinienwahl Einspuriger haben sich in Links- und Rechtskurven als Sicherheitsmaßnahme bewährt. Quod erat demonstrandum: Ellipsen können Leben retten.
  • Motorradfreundliche Leitelemente: Im Sinne fehlerverzeihender Infrastruktur sollten möglichst keine Hindernisse in der potenziellen Sturzlinie von Motorradfahrenden angebracht werden. Leitwinkel sollten aus nachgiebigem Kunststoff bestehen, Leitschienen an Motorradstrecken sollten doppelt beplankt werden.
  • Vermeidung und Sanierung von Hundskurven: Enger werdende Kurven sind ein massives Risiko – nicht nur für Motorradfahrende. Eine derartige Liniengestaltung sollte im Straßenbau künftig vermieden werden, bestehende Hundskurven müssen saniert werden.

Die lebensrettenden Ellipsen sind übrigens auch international auf Erfolgskurs. Ein Blick über die Grenzen zeigt: Auch in Ländern wie Deutschland, Schweiz, Luxemburg, Schottland, Spanien und Australien laufen Pilotstudien rund um sicherheitsfördernde Bodenmarkierung für Einspurige.

Hier der Link zum Download der KFV-Studie:
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