Was sie können, was sie leisten: Notbremsassistenten im Test

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Ausgereift oder ausbaufähig? Wie zuverlässig schützen moderne Notbremsassistenzsysteme vulnerable Verkehrsteilnehmer*innen? Ein KFV-BFU-Forschungsprojekt nimmt den State-of-the-Art dieser technologischen Lebensretter in mehr als 200 Versuchen unter die Lupe. 

Keine Todesopfer und keine Schwerverletzten mehr im Straßenverkehr. So lautet die ambitionierte „Vision Zero“ – Ziel der EU-Verkehrssicherheitsarbeit und der nationalen Verkehrssicherheitsprogramme Österreichs und der Schweiz. Innovative Fahrzeugtechnologien spielen auf dem Weg zur erstrebten maximalen Sicherheit eine essenzielle Rolle. Nicht nur, um Lenker*innen in kritischen Verkehrssituationen aktiv zu unterstützen, sondern auch, um Leben außerhalb des Fahrzeugs zu schützen: Ungeschützten Verkehrsteilnehmer*innen soll mit technischem Support mehr Sicherheit zuteilwerden.

Hohes Potenzial bietet in dieser Hinsicht der automatische Notbremsassistent (AEBS – Advanced Emergency Braking System). Gemäß EU-Verordnung 2019/2144 müssen neue Fahrzeugtypen bzw. neu zugelassene Fahrzeuge ab 2022 bzw. 2024 verpflichtend mit diesem Assistenzsystem ausgestattet sein. Doch wie groß ist seine Schutzwirkung für Ungeschützte? Ist das System bereits ausgereift? Das KFV (Kuratorium für Verkehrssicherheit) nahm in Kooperation mit der Schweizerischen Beratungsstelle für Unfallverhütung (BFU) moderne Notbremsassistenzsysteme näher unter die Lupe.

Stärken und Schwächen der Notbremsassistenten – die wichtigsten Test-Resultate

  • Je neuer, desto besser: Ältere Systeme performen tendenziell schlechter als neuere Modelle, da die verbaute Sensorik trotz regelmäßiger Software-Updates kaum auf aktuellen Stand gebracht werden kann.
  • Erkennung Fußverkehr: Fußgänger*innen, die bei Tag und klarem Wetter aus einer verdeckten Position die Straße überquerten, wurden gut erkannt, die Notbremsung fand zuverlässig statt. Kinder und Erwachsene wurden nahezu gleich gut erkannt.
  • Erkennung Radverkehr: Radfahrer*innen wurden ebenfalls überwiegend erkannt, auch in schwierigen Situationen. Ein Aufprall wurde meist verhindert, selbst wenn die Fahrbahn aus einer verdeckten Position überquert wurde oder die Radfahrer*innen in der gleichen Fahrtrichtung unterwegs waren wie das hinter ihnen fahrende Fahrzeug.
  • Erkennung von E-Scootern: Während die Systeme der neueren Fahrzeuggenerationen den E-Scooter-Dummy zu 95 % registrierten, war die Detektionsquote der älteren Systemgenerationen nur mäßig bis schlecht.
  • Schwächere Performance bei Regen und Dunkelheit: Am besten funktionierten die AEB-Systeme aller Fahrzeugtypen erwartungsgemäß bei Tag und klarem Wetter, weniger zuverlässig wirkten sie bei ungünstigen Witterungsbedingungen und Lichtverhältnissen, etwa bei Regen und Dunkelheit.
  • Künstliches Licht – kritische Lage: Bei künstlichem Licht lieferten alle getesteten Systeme tendenziell schlechtere Resultate als bei natürlichen Lichtverhältnissen – die Erkennungsfunktion in Tunneln und Parkhäusern ist also noch ausbaufähig.
  • Problematik Stahlbeton-Reflexion: Alle getesteten Systeme funktionierten in Innenbereichen tendenziell schlechter. Nicht nur das schwächere künstliche Licht ist schuld daran: An Stahlbeton-Leitplanken und -Hallenwänden treten diffuse Reflexionen der Radar-Signale auf – mit negativen Auswirkungen auf die Genauigkeit der Sensorik. Ein Problem für den Realverkehr in Tunneln und Parkhäusern, das noch gelöst werden muss.
  • Komplexeres Setting, geringere Wirkung: Je komplexer das Versuchssetting, desto geringer die Funktionalität der Systeme. Bereits bei leichten Abweichungen von den standardisierten Euro-NCAP-Testszenarien erkannten einige AEB-Systeme den Dummy nicht mehr und brachten das Fahrzeug nicht mehr rechtzeitig zum Stillstand.

Fazit des Forschungsteams: Sicherheitsplus, aber Feinschliff gefragt!

  • Plus in Sachen Sicherheit: Notbremsassistenzsysteme erhöhen die Verkehrssicherheit – dies beweisen die aktuellen Testresultate. Von Perfektion sind die technischen Helferlein aber noch weit entfernt: Sie sind noch nicht für alle Situationen ausreichend ausgereift und zeigen bereits bei kleineren Abweichungen vom Basisszenario Einbußen in puncto Funktionalität und Performance. Um ihr Sicherheitspotenzial voll auszuschöpfen, ist also noch etwas Feinschliff angesagt.
  • Mehr Praxisnähe im Versuch: Die Diskrepanz zwischen Testdesign und Realverkehr ist derzeit noch zu groß. Im Straßenverkehr treten oft Konfliktsituationen mit mehreren involvierten Fahrzeugen und ungeschützten Verkehrsteilnehmer*innen auf, in klassischen Laborsettings kommen dagegen jeweils nur ein Pkw und ein Dummy zum Einsatz. Mehr Realitätsnähe ist in zukunftsweisenden Testprogrammen sehr gefragt. Auch die Testbedingungen Regen und Dunkelheit sollten künftig NCAP-Standard sein

Ganzen Fachartikel lesen: https://www.kfv.at/notbremsassistenten-im-test/

Hier geht es zu den Projektvideos:

Teaser
https://www.youtube.com/watch?v=M982dLEywZs

Film
https://www.youtube.com/watch?v=h1-1-gFUDLY

Hier der Download-Link zur KFV-Studie:
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