Am 1. Jänner 1960 wurde die österreichische Straßenverkehrsordnung, kurz StVO erlassen. Geprägt vom Zeitgeist der 1960er Jahre und der damaligen Vollmotorisierung gibt sie noch heute die Regeln und Grundsätze für unsere Fortbewegung im öffentlichen Raum vor. Doch wie zeitgemäß sind diese Regelwerke von damals heute überhaupt noch?
Wien, 18. November 2022. 1960 ist jenes Jahr, in dem John F. Kennedy zum Präsidenten der Vereinigten Staaten ernannt wurde, Frauen im Schweizer Kanton Genf das Wahlrecht erhielten und 18 afrikanische Regionen die Unabhängigkeit von ihren Kolonialmächten bekamen. Und es war die Zeit der Vollmotorisierung in Europa – Autos galten als Symbol für Freiheit. Allein von 1960 bis 1965 stieg die Anzahl der Pkws in Österreich von 404.042 auf 790.675 Pkws an. Eingebettet in diesen Zeitgeist der Motorisierung entstand auch die österreichische Straßenverkehrsordnung. „Bei der Entwicklung der Straßenverkehrsordnung stand das Auto ganz klar im Fokus: Flüssigkeit, Leichtigkeit und freie Fahrt für den motorisierten Verkehr sowie das Leitbild einer autogerechten Stadt waren die zentralen Ziele in der Verkehrsplanung“, erläutert Dipl.-Ing. Klaus Robatsch, Leiter der Verkehrssicherheitsforschung im KFV. Seither hat sich viel getan: Die Zahl der Fahrradverkäufe befindet sich auf einem Rekordhoch, neue Formen der Mobilität wie autonom fahrende Fahrzeuge, E-Bikes, E-Scooter und Lastenfahrräder sind hinzugekommen. Und auch wenngleich die Anzahl der Personen, die einen Pkw besitzen, so hoch ist wie nie: Das Auto hat seine Rolle als Symbol für Freiheit und Status ein wenig verloren.
Jede 2. Person nutzt regelmäßig das Fahrrad
Fast die Hälfte der österreichischen Bevölkerung (49%) nutzt gemäß einer Erhebung des KFV regelmäßig das Fahrrad. Das E-Bike wird von 13 Prozent, der E-Scooter von 4 Prozent der Österreicher*innen regelmäßig genutzt. Dass Radfahren und neue Mobilitätsformen im Trend liegen, zeigt auch ein Blick auf die Fahrradverkaufszahlen, die jährlich vom Verband der Sportartikelerzeuger und Sportausrüster Österreichs (VSSÖ) veröffentlicht werden. Hinzu kommt der Trend zum Carsharing. „Die Mobilität hat sich in den letzten 20 Jahren enorm weiterentwickelt. Ein Auto zu haben spielt eine viel geringere Rolle als noch vor wenigen Jahrzehnten“, so Robatsch. „Und trotzdem orientiert sich unsere Straßenverkehrsordnung nach wie vor am Zeitgeist der 60er. Angesichts des großen Wandels hin zur aktiven Mobilität ist es nun an der Zeit zu hinterfragen, inwiefern das Leitbild der 1960er Jahre nach wie vor mit unseren heutigen Mobilitätsformen im Einklang steht. Um speziell die Verkehrssicherheit von ungeschützten Verkehrsteilnehmenden und Nutzern von neuen Mobilitätsformen zu gewährleisten, wird es eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit den Leitgedanken der StVO benötigen.“
Daten zur Entwicklung neuer Mobilitätsformen in Österreich im Überblick:
- Fahrzeugbestand und Motorisierungsgrad: Von 1960 bis 2020 hat sich die Anzahl der Pkw in Österreich von 404.042 Pkw im Jahr 1960 auf 5.091.827 Pkw im Jahr 2020 mehr als verzwölffacht. Hohe Steigerungsraten bei der Anzahl der Pkw sind vor allem in den Jahren 1960 bis 1980 erkennbar.
- Fahrrad allgemein: Nach Angaben des VSSÖ deutliche Zunahme der Fahrradverkäufe speziell seit dem Jahr 2013 von 382.000 auf 496.000 im Jahr 2020, in dem die Nachfrage nach Rädern in Folge der Pandemie besonders hoch war. Im Jahr 2021 wurden insgesamt mehr als 490.000 Räder verkauft.
- E-Bike: Zunahme verkaufter E-Bikes in Österreich von etwa 86.500 im Jahr 2015 auf knapp 222.000 im Jahr 2021, der Marktanteil von E-Bikes an allen verkauften Fahrrädern liegt bei 45% und ist damit am höchsten im D-A-CH Raum.
- Lastenrad: Zunahme verkaufter Lastenräder in Österreich von 514 Lastenrädern im Jahr 2019 auf 943 Lastenrädern im Jahr 2021.