Corona hat das Interesse an Haustieren ansteigen lassen. Auch Hunde sind stärker nachgefragt. Aufgrund des Lockdowns und geschlossener Hundeschulen fehlt es den Tieren aber vielfach an Sozialkontakten und einer entsprechenden Ausbildung. Unfälle mit Hunden könnten dadurch zunehmen, warnen Experten.
Die Zahl der bundesweit gemeldeten Hunde lag laut Heimtierdatenbank des Gesundheitsministeriums im Corona-Jahr 2020 bei 44.188 Tieren. Damit drehte eine Entwicklung der letzten Jahre ins Gegenteil. Denn seit 2017 (43.823) wurden kontinuierlich weniger Hunde angemeldet – 2018 waren es 43.072, 2019 nur noch 42.612 Tiere. Das, obwohl die „Registrierungsmoral“ laut Ministerium aber zugenommen hat, da die Tiere routinemäßig gechippt und zumeist durch den Tierarzt direkt registriert werden.
Der Lockdown im vergangenen März, das damit verbundene „Mehr“ an Zeit daheim (Homeoffice, Kurzarbeit) und das „Weniger“ an sozialen Kontakten hat allgemein den Wunsch und das Interesse an Haustieren wachsen lassen. „Bei vielen war dieser Wunsch unreflektiert, es kam zu Impulskäufen“, erklärt Bettina Huber, Leiterin des Linzer Tierheims. Mit vielschichtigen Folgen.
Einerseits hatten im Lockdown auch die Tierheime geschlossen. Das hat den Handel mit illegal importierten Welpen anspringen lassen. Ob Schwarzmarkt, registrierter Zuchtbetrieb oder Tierheim: Die Tiere wuchsen in den Wochen nach der Anschaffung zu pubertierenden Jungtieren heran, mit – dank Lockdown – sehr intensivem, aber einseitigem Kontakt zu den Hundehaltern. Die Tiere lernten aber in dieser Prägephase beispielsweise nie, alleine zu sein.
„Ein Problem ist, dass u.a. die Möglichkeit einer allgemeinen Ausbildung fehlte und fehlt, denn die Hundeschulen haben Corona-bedingt seit Monaten nicht geöffnet“, so KFV-Präventionsexpertin Dr. Trauner-Karner. Den Hunden fehlen damit wichtige Sozialkontakte zu anderen Tieren. Erste einschlägige Zahlen aus den Krankenhäusern zeigen tatsächlich einen leichten Anstieg an Hundebissen im Jahr 2020: „Wir sehen in unserer Unfalldatenbank derzeit eine Zunahme an Hundebissen im letzten Jahr bei Kindern“, so das KFV.
Ähnliche signifikante Steigerungsraten werden aus der USA gemeldet. Zwar würden Hundebisse in den Frühlings- und Sommermonaten tendenziell zunehmen, im vergangenen Frühjahr kamen im Vergleich zu 2019 allerdings fast drei Mal so viele Kinder aufgrund von Hundebissen in die Notaufnahme des Children’s Hospital Colorado. In dieser Zeit verbrachten Familien und Kinder mehr Zeit zuhause – teilweise in beengten Verhältnissen. Aber auch nach den Ausgangsbeschränkungen hat sich die hohe Zahl an Bissverletzungen bei Kindern fortgesetzt.
Gerade im Welpen- und Junghundealter ist der Kontakt zu Artgenossen für die Entwicklung von ausschlaggebender Bedeutung, Versäumnisse in diesem Alter können später nur sehr schwer aufgeholt werden, gibt man beim Österreichische Kynologenverband (ÖKV), dem größten Dachverband im österreichischen Hundewesen, zu bedenken.
In einem offenen Brief an den Gesundheitsminister, in dem auf die Öffnung der Hundeschulen gedrängt wird, heißt es, dass „die Unfallhäufigkeit mit Hunden in Österreich in den letzten Jahren deutlich rückläufig war, was mit Sicherheit auch auf eine frühzeitige Sozialisierung, Ausbildung und Aufklärung der Hundehalter zurückzuführen ist“. Durch die Schließung der Hundeschulen habe man Bedenken, dass sich im Falle einer zu spät begonnen Ausbildung der Hunde dies negativ auf das konfliktfreie Zusammenleben zwischen Mensch und Hund auswirken werde.
Auch ein Hund braucht seine Freiräume, hat seine eigenen, sehr individuellen Grenzen und auch mal die sprichwörtliche Schnauze voll. Er wird sich, wenn er sich zu sehr eingeengt fühlt, auch entsprechend – im schlimmsten Fall durch einen Biss – bemerkbar machen, warnt Dr. Peter Spitzer, Autor einer Studie über Hundebisse und Generalsekretär des Vereins „Große schützen Kleine“, der sich der Unfallprävention bei Kindern widmet. „Die Warnsignale, die Hunde schon früh aussenden, können von Kindern und eventuell auch von neuen Hundehaltern noch nicht richtig erkannt und interpretiert werden. Gerade hier zeigt sich sicherlich das Defizit durch die coronabedingt geschlossenen Hundeschulen.“
„Ein gut erzogener Hund ist eine Bereicherung für den Hundehalter, aber auch für die Gesellschaft“, sagt ÖKV-Sprecherin Dr. Katja Wolf. Umgekehrt würden schlecht oder nicht ausgebildete Hunde „disziplinlose Rüpel“ bleiben.
Gerade für Kinder sind Unfälle mit Hunden besonders gefährlich. Auswertungen der KFV Unfalldatenbank zeigen, dass bei schweren Unfällen von Kindern oft der Kopf betroffen ist. Die Wunden müssen meist operativ versorgt werden.
Besonders auffällig: Wie eine Studie des Vereins Große schützen Kleine darstellt, beißt in nur 23 Prozent der Fälle der eigene Hund. Fast jeder zweite Biss wird durch einen „bekannten“ Hund, also zumeist durch den Hund von Großeltern, Onkeln und Tanten oder Nachbarn, verursacht. Bei einem Viertel der Vorfälle ist ein dem Kind gänzlich fremder Hund beteiligt. „Aber egal, in welchem Naheverhältnis Mensch und Tier stehen – der intensive Kontakt durch die ungewohnte zeitliche und räumliche Dichte während des Lockdowns hat auch bei vielen Hunden Stresssymptome zur Folge. Das Wissen um den richtigen Umgang mit den Tieren ist unerlässlich. Besonders wichtig ist Kinder und Hunde nie unbeaufsichtigt alleine zu lassen“, so das KFV.
Auffälligkeiten zeigt auch eine Studie aus Spanien, die drei Wochen nach dem ersten Lockdown durchgeführt wurde, die zeigt, dass Hunde durch die Einschränkungen des üblichen sozialen Lebens häufiger zu bellen begonnen haben, vermehrt Angst vor lauten und unerwarteten Geräuschen hatten und aggressiver gegenüber anderen Hunden während des Spazierengehens waren. „Neues Problemverhalten ist zwar nicht hinzugekommen, aber bereits Vorhandenes wurde verstärkt“, so der Schluss von Verhaltensmedizinerin Dr. Nadja Affenzeller.
Gelöst ist die Problematik aber auch mit dem Ende des Lockdowns nicht. Im Gegenteil: Auch Hunde sind Gewohnheitstiere. Was aber wenn Alltagsroutinen wegfallen, wenn die Rundumbetreuung im Homeoffice in diesem Ausmaß oder gar nicht mehr möglich ist, wenn man den Hund nicht mit in die Arbeit nehmen kann, wenn der Hund plötzlich länger allein gelassen werden muss, weil die Kurzarbeit vorbei ist?