Pro Jahr fordern Vorrangverletzungen und Rotlichtmissachtungen durchschnittlich rund 54 Getötete und 11.000 Verunglückte auf Österreichs Straßen. Das KFV untersuchte Unfalldaten, Ursachen, Motive und Gewohnheiten – und propagiert Fair Play: Respekt und Regelakzeptanz für reibungslosen Flow auf der Straße.
Rund 11.000 Verunglückte und 54 Getötete pro Jahr sind die inakzeptable Folge verhängnisvoller Vorrangverstöße (Durchschnitt der Jahre 2012-2021). Jeder vierte Unfall und jedes sechste Todesopfer im österreichischen Straßenverkehr sind auf die Unfallursache „Vorrangverletzung/Rotlichtmissachtung“ zurückzuführen.
Wie kommt es zu Vorrangverletzungen? Werden diese Fouls auf der Straße meist bewusst oder unbewusst begangen? Wer fährt bei Rot in die Kreuzung ein – immer nur die anderen? Das KFV (Kuratorium für Verkehrssicherheit) nahm im Rahmen einer Studie die Unfallumstände und Ursachen dieser riskanten Verkehrsvergehen näher unter die Lupe und befragte Fachleute und Bevölkerung zu Risikofaktoren, Motiven und persönlichen Gewohnheiten.
Die Untersuchung des Unfallgeschehens: Mopedlenkende als besondere Risikogruppe
Die KFV-Tiefenanalyse der Unfallstatistik brachte folgende Fakten ans Tageslicht:
- 70 % aller Unfälle mit Personenschaden aufgrund von Vorrangverletzungen oder Rotlichtmissachtungen ereignen sich an Kreuzungen.
- Rund 80 % der Vorrangverletzungsunfälle mit Personenschaden werden von Pkw-Lenkenden verursacht.
- Einen hohen Anteil an der Zahl der bei Vorrangverletzungsunfällen Verunglückten haben junge Verkehrsteilnehmende ab 15 Jahren, darunter viele Mopedlenkende – oft selbst verursacht.
- Im Ortsgebiet ereignen sich viermal mehr Vorrangverletzungsunfälle mit Personenschaden als im Freiland. Allerdings ist das Risiko, bei einem Vorrangverletzungsunfall zu sterben, im Freiland viermal höher als im Ortsgebiet.
Die Sicht der Expert*innen: Schlüsselfaktoren Mensch & Straße
Das Forschungsteam interviewte eine Runde renommierter Fachleute aus dem österreichischen Verkehrswesen, um deren Ansichten und Meinungen zum Thema Vorrangverletzungen auf Österreichs Straßen in Erfahrung zu bringen. Hier die wesentlichsten Aussagen der Expert*innen:
- Die interviewten Fachleute stufen Vorrangverletzungen aufgrund ihres häufigen Auftretens als gewichtiges Verkehrssicherheitsproblem ein.
- Besonders betroffen von den Vorrangverletzungen anderer seien, so der Tenor der Fachkundigen, Moped- und Motorradlenkende, Radfahrende, zu Fuß Gehende und andere ungeschützte Verkehrsteilnehmende.
- Die Expert*innen betonen das hohe Risiko der Ungeschützten. Wie die Logik der Physik und die Zahlen der Statistik zeigen, sind diese mit besonders schweren Folgen für Leib und Leben konfrontiert. In der Risikogruppe der zu Fuß Gehenden sind vor allem Kinder und ältere Menschen Leidtragende von Vorrangverletzungen anderer Verkehrsteilnehmender.
- Die Ursachen der Vorrangverletzungen sind nach Ansicht der Fachleute vielfältig und beinhalten den Faktor Mensch genauso wie den Faktor Straße: Stress, Ablenkung, fehlendes Gefahrenbewusstsein, Rücksichtslosigkeit und Routine sind ebenso Gründe für Vorrangverletzungen wie unübersichtliche Straßenraumgestaltung, mangelhafte Verkehrsführung und uneinheitliche Beschilderung oder Markierung.
Die Online-Befragung: So denkt Österreich über Vorrangmissachtung
„Wie halten Sie’s mit der Vorrangsituation?“ Die Gretchenfrage nach eventuellen eigenen Verfehlungen und weitere explorative Fragen rund um Häufigkeit, Motive und Ursachen von Vorrangverletzungen wurden vom Forschungsteam auf Basis der Erkenntnisse aus Unfalldatenanalyse und Expert*innen-Interviews nun den österreichischen Verkehrsteilnehmenden gestellt.
In einer repräsentativen Online-Umfrage wurden insgesamt 2.734 Verkehrsteilnehmende – Radfahrende, zu Fuß Gehende, Pkw- und Mopedlenkende – zu ihrer persönlichen Einstellung und zu ihren eigenen Gewohnheiten in Sachen Vorrang befragt. Hier die aufschlussreichen Antworten:
- Radfahrende begehen nach Einschätzung der befragten Pkw-Lenkenden, Mopedlenkenden, zu Fuß Gehenden und sogar der befragten Radfahrenden selbst am häufigsten Vorrangverletzungen im Straßenverkehr.
- Radfahrende empfinden aber auch besonders oft Pkw-Lenkende als Vorrang missachtend auf der Straße.
- Menschen, die zu Fuß, per Fahrrad oder mit dem Pkw unterwegs sind, werden als die am häufigsten von Vorrangverletzungen betroffenen Gruppen wahrgenommen.
- Vorrangverletzungen erfolgen nach Meinung der knappen Mehrheit der Befragten (53 %) eher unbewusst.
- Die Missachtung des Vorrangs anderer Verkehrsteilnehmender wird vorwiegend auf Unaufmerksamkeit/Ablenkung (46 %) und Rücksichtslosigkeit (42 %) zurückgeführt.
- Zeitdruck/Stress (34 %), schnelles Fortkommen ans Ziel (32 %), Unkenntnis der Vorrangregeln (28 %) und das Nichterkennen der Verkehrssituation (26 %) sind aus Sicht der Befragten weitere relevante Gründe für Vorrangverletzungen.
- Nach selbst begangenen Vorrangverletzungen befragt, nannten die Verkehrsteilnehmenden am häufigsten das Überfahren einer gelben oder roten Ampel. Trotz besseren Wissens übertreten 21 % der Befragten (sehr) häufig diese Regel.
- Am zweithäufigsten kommt es vor, dass zu weit aus einer Einfahrt oder Nebenstraße herausgefahren und dadurch einer anderen Person der Vorrang genommen wird, an dritter Stelle der berichteten Verfehlungen rangiert das Übersehen von zu Fuß Gehenden beim Abbiegen.
- Doch es gibt auch erfreuliche Erkenntnisse: Stattliche 94-96 % der befragten Personen aus den verschiedenen Mobilitätsgruppen geben an, bei Bedarf zumindest selten auf ihren Vorrang zu verzichten. Die stärksten Motive für dieses Verkehrsverhalten sind Unfallvermeidung, Verkehrsfluss und Freundlichkeit.
Vorrang für die Sicherheit: Regelakzeptanz, Respekt und Rücksicht sind gefragt!
Dipl.-Ing. Klaus Robatsch, Leiter des KFV-Fachbereichs Verkehrssicherheit, appelliert an das Verantwortungsbewusstsein und die Vernunft aller Verkehrsteilnehmer*innen: „Der Straßenverkehr ist ein komplexes soziales System, ein funktionierendes Miteinander daher ein absolutes Muss. Vorrangverletzungen und Rotlichtüberfahrten sind inakzeptabel, sie bedeuten akute Gefahr für Leib und Leben. Klare Verkehrsführung, übersichtliche Straßenraumgestaltung, aber vor allem mehr Risikobewusstsein und Rücksichtnahme sind also gefragt: Fair Play mit Fokus auf ein gutes Miteinander und Regelakzeptanz für reibungslosen Flow auf der Straße. Damit die Sicherheit Vorrang hat.“
Hier der Link zum Download der neuen KFV-Studie:
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