73 Prozent der Kfz halten beim Überholen von Fahrrädern im Ortsgebiet den Seitenabstand von 1,5 Meter nicht ein

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Seit 1. Oktober 2022 ist in der Straßenverkehrsordnung (StVO) ausdrücklich geregelt, dass Kfz beim Überholen von Fahrrädern im Ortsgebiet mindestens 1,5 Meter Abstand halten müssen und im Freiland mindestens 2 Meter. Es gibt aber auch Ausnahmen: zum Beispiel bei vorhandenem Radfahrstreifen oder wenn das Kfz mit maximal 30 km/h überholt. Die komplexe Neuregelung ist allerdings viel zu wenig bekannt, wie eine Umfrage des Kuratoriums für Verkehrssicherheit (KFV) zeigt. Abstandsmessungen vor und nach dem Inkrafttreten der Neuregelungen haben zudem ergeben, dass sich die Seitenabstände seither nicht verbessert haben.

Wien, 08. August 2023. Mit der 33. Novelle der österreichischen Straßenverkehrsordnung (StVO) wollte der Gesetzgeber die Verkehrssicherheit in Österreich erhöhen und der sanften Mobilität einen Schub verleihen. Um die Unfallzahlen zu senken, wurden daher per 1. Oktober 2022 unter anderem die Abstände neu geregelt, die Kraftfahrzeuge beim Überholen von Fahrrädern (und E-Scootern) einhalten müssen. Das Kuratorium für Verkehrssicherheit (KFV) hat nun anhand von zwei aktuellen Studien die Umsetzung in der Praxis analysiert.

Disziplin bei Einhaltung des Mindestabstands im Freiland noch schlechter
Im Rahmen einer KFV-Studie wurden mit Hilfe eines mit einem „Open-Bike-Sensor“ ausgestatteten Testfahrrads von Mai bis Juni 2023 insgesamt 1.442 Überholabstände in Österreich gemessen. Dipl.-Ing. Klaus Robatsch, Leiter des Bereichs Verkehrssicherheit im Kuratorium für Verkehrssicherheit (KFV) zieht nun Bilanz: „Wie ein Vergleich der aktuellen Messdaten mit einer früheren Studie aus 2021/22 zeigt, gab es seither leider keine Verbesserungen bei den Überholabständen.“ Erhoben wurden unterschiedliche Szenarien. Auf Tempo-50-Straßen im Ortsgebiet beispielsweise haben die Kfz beim Überholen der Fahrräder in 73 Prozent der Fälle den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestseitenabstand von 1,5 Metern missachtet. Wie Stichproben im Freiland zeigen, wurde der dort geltende Überholabstand von 2 Metern von 87 Prozent missachtet. 58 Prozent der Kfz hielten beim Überholen sogar weniger als 1,5 Meter Abstand ein.

„Wir gehen davon aus, dass mangelnde Überholabstände häufig auch indirekte Unfallquellen sind, wenn beispielsweise jemand durch zu dichtes Überholen eines Kfz erschrickt und einen Fahrfehler begeht.“

 Dipl.-Ing. Klaus Robatsch, Leiter des Bereichs Verkehrssicherheit im KFV©KFV
Dipl.-Ing. Klaus Robatsch, Leiter des Bereichs Verkehrssicherheit im KFV © KFV

Neben der 1,5-Meter-Regelung im Ortsgebiet und der Zwei-Meter-Regelung im Freiland gibt es noch Sonderregelungen: Sofern ein Kfz beim Überholen eines Fahrrades maximal 30 km/h fährt, dürfen die 1,5 Meter Seitenabstand auch der Verkehrssicherheit entsprechend unterschritten werden. Theoretisch gilt das daher beispielsweise in Tempo-30-Zonen im Ortsgebiet, wenn das Kfz die zulässige Höchstgeschwindigkeit einhält. In der Praxis wird hier das Geschwindigkeitslimit aber besonders oft übertreten. „Geschwindigkeitsmessungen in Tempo-30-Zonen haben ergeben, dass 72 Prozent der Kfz schneller als die erlaubten 30 km/h fahren. Wie Abstandsmessungen zudem zeigen, haben 78 Prozent der Lenker und Lenkerinnen in Tempo-30-Zonen weniger als 1,5 Meter Seitenabstand eingehalten“, erläutert Dipl.-Ing. Robatsch. Ähnliche Abstandsregeln gelten auch beim Überholen von Radfahrenden auf Radfahrstreifen, jedoch sind diese Regelungen sehr unklar im Gesetz verankert, was immer wieder zu Missverständnissen führt. Das KFV fordert daher eine Klarstellung im Gesetz. Radfahrstreifen sind Teil der Fahrbahn und mit weißen Bodenmarkierungen gekennzeichnet. „Unsere zentrale Forderung lautet daher, dass der 1,5-Meter-Mindestseitenabstand im Ortsgebiet immer gelten sollte“, fordert der KFV-Experte.

Bei Umfrage wählten erstaunlich viele falsche Antworten aus
Neben den Abstands- und Geschwindigkeitsmessungen hat das KFV auch eine Umfrage durchgeführt, um das Wissen der Bevölkerung rund um die Überholabstände der 33. StVO-Novelle abzufragen. Bei der Umfrage wurden mehrere Antwortmöglichkeiten vorgegeben. Unter jenem Personenkreis, der zumindest einmal monatlich mit dem Pkw fährt, haben 42 Prozent bei der Frage nach dem Mindestabstand im Ortgebiet (richtig ist 1,5 Meter) eine falsche Antwort gegeben. Beim Mindestabstand im Freiland (2,0 Meter) ist die gleiche Befragungsgruppe zu 53 Prozent falsch gelegen.

Mangelnde Überholabstände sind auch indirekte Unfallquellen
Laut der offiziellen Verkehrsunfallstatistik hat es bereits 2020 und 2021 einen Höchststand an verletzten Radfahrenden gegeben. 2022 ist die Zahl im Vorjahresvergleich noch einmal um 13 Prozent auf 10.871 Verletzte gestiegen. Nachdem es bei Fahrradunfällen eine sehr hohe Dunkelziffer gibt, weil viele Unfälle oft gar nicht gemeldet und polizeilich erfasst werden, liegt die tatsächliche Zahl aber weit höher. Dipl.-Ing. Robatsch dazu: „Wir gehen davon aus, dass mangelnde Überholabstände häufig auch indirekte Unfallquellen sind, wenn beispielsweise jemand durch zu dichtes Überholen eines Kfz erschrickt und einen Fahrfehler begeht“. Die Radfahrenden könnten beispielsweise ins Bankett abkommen, Randsteine touchieren oder in die „Dooring“-Zone abgedrängt werden. Bei „Dooring“-Unfällen prallen Radfahrende gegen die abrupt geöffnete Tür eines parkenden Autos. So etwas passiert gar nicht so selten in Österreich. Allein im Vorjahr gab es laut offizieller Statistik 261 „Dooring“-Unfälle.

Forderungen des KFV

Rechtliche und technische Rahmenbedingungen:

  • Gültigkeit des Mindestabstandes von 1,5 bzw. 2 Meter auf Mehrzweck- und Radfahrstreifen erweitern.
  • Mindestabstand sollte auch dann gelten, wenn ein überholendes Kfz 30 km/h oder weniger fährt.
  • Die Exekutive sollte technische Überwachungsmöglichkeiten zur Kontrolle der Mindestüberholabstände bekommen.
  • Die RVS Radverkehr, die technische Richtlinie für die Gestaltung von Radfahranlagen, sollte verbindlich sein, derzeit wird diese nur zur Anwendung empfohlen.

Infrastruktur

  • Deutlicher Ausbau einer qualitativ hochwertigen Radinfrastruktur, zum Beispiel in Form von breiten Radfahranlagen.

Bewusstseinsbildende Maßnahmen

  • Bessere Bekanntmachung der 1,5-Meter- bzw. 2-Meter-Abstandsregel. Sofern die Abstände korrekt eingehalten werden, ergibt sich dadurch für Kfz ein Überholverbot von Radfahrenden auf sehr schmalen Straßen oder bei Gegenverkehr.
  • Die Lenkerinnen und Lenker sollten an die Einhaltung der Geschwindigkeitslimits erinnert werden. Zusätzlich auf die Verpflichtung zur Wahl einer der jeweiligen Gefahrensituation (Sichtweite, Engstellen …) angepassten Geschwindigkeit hinweisen – vor allem an Stellen, wo viele ungeschützte Verkehrsteilnehmende mit dem Rad, dem E-Scooter oder zu Fuß unterwegs sind.

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