Wer in einem Leicht-Lkw sitzt, lebt gefährlich. Im Jahr 2022 wurden 1.118 Insassen verletzt – und damit so viele wie seit 30 Jahren nicht mehr. Wenn Leicht-Lkw in Verkehrsunfälle verwickelt sind, gehören sie zudem auffallend häufig zu den Hauptunfallverursachern. Allerdings sind auch immer mehr dieser leichten Nutzfahrzeuge unterwegs: 2021 sind die Neuzulassungen vor dem Inkrafttreten einer Steueränderung sogar um mehr als 60 Prozent gestiegen. Das KFV erklärt, wie die Sicherheit erhöht werden kann.
Wien, 11. Juli 2023. Leichte Nutzfahrzeuge mit bis zu 3,5 Tonnen höchstzulässigem Gesamtgewicht erfreuen sich in Österreich zunehmender Beliebtheit. Wer damit fahren will, benötigt lediglich einen Führerschein der Klasse B. Anders als bei schweren Lkw und Bussen ab 9 Sitzplätzen müssen die Fahrzeuge – sofern sie auch mit Anhänger 3,5 Tonnen nicht überschreiten – nicht mit EU-Kontrollgeräten ausgerüstet sein. Diese Fahrtenschreiber sorgen dafür, dass die Einhaltung der vorgeschriebenen Lenk- und Ruhezeiten kontrolliert werden kann. Beim Lenken von schweren Lkw ab 3,5 Tonnen höchstzulässigem Gesamtgewicht und von Bussen sind zudem eine umfassende zusätzliche Grundausbildung und laufende Weiterbildungen vorgeschrieben. Im Rahmen der Weiterbildung müssen 35 Stunden innerhalb von fünf Jahren nachgewiesen werden, wobei die Betroffenen aus verschiedenen Sachgebieten, wie zum Beispiel ergonomisches Sitzen, Ladungssicherheit oder auch Risiken auf der Straße, wählen können. Für leichte Nutzfahrzeuge bis 3,5 Tonnen gilt diese Weiterbildungsverpflichtung nicht.
Leicht-Lkw in 2.711 Unfälle verwickelt und zu 65 Prozent Hauptunfallverursacher
Im Jahr 2022 ist die Zahl der verletzten Insassen von leichten Nutzfahrzeugen im Vorjahresvergleich um 14 Prozent auf 1.118 Personen gestiegen und erreichte damit ein 30-Jahreshoch. Die Zahl der Getöteten stieg 2022 im Vorjahresvergleich um 20 Prozent auf 18 Personen. Dipl.-Ing. Klaus Robatsch, Leiter des Bereichs Verkehrssicherheit im Kuratorium für Verkehrssicherheit (KFV), weist aber noch auf eine andere Auffälligkeit hin: „Leicht-Lkw waren im Vorjahr in 2.711 Unfälle verwickelt, wobei sie zu 65 Prozent die Hauptunfallverursacher waren. Die Lenker anderer mehrspuriger Verkehrsmittel zählen im Falle eines Unfalles deutlich seltener zu den Unfallverursachern“. Im Jahr 2023 sind bisher (inkl. KW 27) sieben Personen mit Leicht-Lkw tödlich verunglückt, im Vergleichszeitraum 2022 waren es im gleichen Zeitraum acht Personen. Die Anzahl der Verletzten für 2023 liegt dem KFV noch nicht vor.
„Leicht-Lkw waren im Vorjahr in 2.711 Unfälle verwickelt, wobei sie zu 65 Prozent die Hauptunfallverursacher waren. Die Lenker anderer mehrspuriger Verkehrsmittel zählen im Falle eines Unfalles deutlich seltener zu den Unfallverursachern“
Angesichts des dramatischen Anstiegs bei den verletzten Leicht-Lkw-Insassen appelliert Dipl.-Ing. Robatsch an die Vernunft der Betroffenen. „Wer längere Wegstrecken mit einem Lieferfahrzeug zurücklegt, mit einem Kleinbus Personen befördert oder als Handwerker am Ende eines langen Arbeitstages mit dem Firmenfahrzeug müde nach Hause fährt, sollte bereits beim kleinsten Anzeichen von Müdigkeit eine Pause einlegen. Dies dient nicht nur der eigenen Sicherheit, sondern auch dem Erhalt der Arbeitsfähigkeit, was den Auftraggebern bzw. Arbeitgebern in Zeiten des Fachkräftemangels ein großes Anliegen sein dürfte“. Wie KFV-Erhebungen zeigen, liegt die Gurtanlegequote bei Kleintransportern zudem erst bei 93 Prozent. Im Vergleich zu den 99 Prozent bei Pkw gibt es hier noch deutliches Verbesserungspotenzial.
Freiwillige Weiterbildungen für mehr Verkehrssicherheit
Der Verkehrsexperte empfiehlt zudem freiwillige interne oder externe Schulungen des Personals punkto sicherem Fahrverhalten und Ladungssicherheit. „Jedes zusätzliche Wissen und jede Wissensauffrischung kann Leben retten und ist daher ein wichtiger Baustein zur Erhöhung der Verkehrssicherheit“, erklärt Dipl.- Ing. Klaus Robatsch. Unternehmensinterne Sanktionierungen bei Nichteinhaltung der Straßenverkehrsvorschriften, wie zum Beispiel dem Nichtanlegen des Sicherheitsgurtes oder der Nichteinhaltung von Geschwindigkeitsbeschränkungen, sind ebenfalls Möglichkeiten, um die Verkehrssicherheit zu erhöhen. Sehr motivierend wäre aber auch ein betriebsinternes Prämiensystem, das unfallfreies Fahren belohnt. Werden Subunternehmer mit der Auslieferung von Waren beauftragt, sollten ebenfalls strenge Maßstäbe an die Qualifikation angelegt werden.
Steigende Zahl der zugelassenen Nutzfahrzeuge erhöht Präventionsdruck
Auffallend ist aber auch der abrupte Anstieg der Neuzulassungen im Jahr 2021. Wie Daten der Statistik Austria zeigen, ist die Zahl der Fahrzeuge zur Güterbeförderung mit einer zulässigen Gesamtmasse von nicht mehr als 3,5 Tonnen (Lkw der Klasse N1) im Jahr 2021 im Vorjahresvergleich von 36.545 auf 58.806 Fahrzeuge um 61 Prozent gestiegen. Durch die Ausdehnung der Normverbrauchsabgabe (NoVA) auf leichte Nutzfahrzeuge per 1. Juli 2021 ist es damals zu massiven (Vorzieh)Käufen gekommen. 2022 wurden im Vergleich dazu nur noch 22.069 Lkw der Klasse N1 neu zugelassen. Die Zahl der insgesamt zugelassenen Lkw der Klasse N1 ist aber auch 2022 leicht gestiegen und legte um ein Prozent auf knapp 500.000 zu. „Je mehr Fahrzeuge im Verkehr unterwegs sind, desto dringender wird die Ergreifung zusätzlicher Präventivmaßnahmen“, resümiert der Experte.
Mehr Verletzte auch in den Bundesländern
Mit Ausnahme von Kärnten gab es bei den verletzten Leicht-Lkw-Insassen im Jahr 2022 auch in allen Bundesländern Zuwächse im Vergleich zum Jahr 2021. Aber auch im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2018 ist im Jahr 2022 in fast allen Bundesländern die Zahl der Verletzten gestiegen. Nur in Tirol gab es hier einen leichten Rückgang von 76 auf 75 Verletzte.
Verletzte Leicht-Lkw-Insassen (Lkw bis 3,5 Tonnen höchstzulässiges Gesamtgewicht)
Getötete Leicht-Lkw-Insassen (Lkw bis 3,5 Tonnen höchstzulässiges Gesamtgewicht)